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( Anglerverband Niedersachsen vom 03.03.2023 )

Ein Bagger gräbt eine Flachwasserzone in einen sonst steil abfallenden Baggersee. Diese wird später zur erfolgreichen Kinderstube für Jungfische. ©Thomas Klefoth
Der Linner See ist Teil eines bislang einzigartigen Experiments: Angelvereine des Anglerverbands Niedersachsens werteten Baggerseen ökologisch auf um zu schauen, ob dies Mensch und Natur zugutekommt. Das Ganze erfolgte in Zusammenarbeit mit einem Forschungsteam unter Leitung des Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) und der Humboldt-Universität zu Berlin (HU). Nun wurden zentrale Ergebnisse in einer international anerkannten Fachzeitschrift Science (engl. Wissenschaft) veröffentlicht. Sie zeigen: Sowohl für den Artenschutz als auch für die fischereiliche Nutzung lohnt es sich Gewässer naturnah zu gestalten und natürliche Prozesse zu fördern. Denn Fische profitierten deutlich von Lebensraumverbesserungen. Fischbesatz hingegen erzielte keine nachhaltig positiven Effekte. Der Verlust der biologischen Vielfalt in Binnengewässern ist besorgniserregend. Auch deshalb fand die Studie, an der sich u.a. die Niedersächsisch-Westfälische Anglervereinigung beteiligte, international Beachtung.

Die Biodiversität nimmt insbesondere im Süßwasser rasant ab. Viele Schutzkonzepte zielen auf die Förderung einzelner Arten ab. Ein alternativer Ansatz ist die Schaffung ökologischer Rahmenbedingungen, die ganzen Lebensgemeinschaften zugutekommen. Dieses sogenannte ökosystembasierte Management wird nicht zuletzt aus Kostengründen selten umgesetzt. Es fehlt aber auch an überzeugenden Belegen, dass ein umfassender Gewässerschutz effektiver ist, als die für viele Menschen naheliegenden Alternativen, wie das Aussetzen von Tieren zur Bestandsaufstockung (Fischbesatz ist ein Beispiel dafür).

Wichtiges Lehrstück für ein nachhaltiges Fischereimanagement

Ein Berliner Forschungsteam hat in enger Zusammenarbeit mit zahlreichen Angelvereinen, die im Anglerverband Niedersachsen organisiert sind, eine wegweisende Studie vorgelegt: Im Rahmen von Ganzseeexperimenten haben Wissenschaftler:innen und Praktiker:innen über einen Zeitraum von sechs Jahren gemeinsam Maßnahmen zur Aufwertung von Lebensräumen und den traditionell beliebten Fischbesatz an 20 Baggerseen in Niedersachsen erprobt. In einigen Seen wurden Flachwasserzonen geschaffen. In anderen wurden Totholzbündel eingebracht, um die Strukturvielfalt zu erhöhen. Weitere Versuchsgewässer wurden mit fünf fischereilich begehrten Fischarten besetzt, unveränderte Kontrollseen dienten als Vergleich. Insgesamt gingen über 150.000 Fische in die Untersuchung ein.

Das Ergebnis: Die Schaffung der Flachwasserzonen steigerte die Fischbestände in den Baggerseen nachhaltig. Diese Zonen sind für viele Fischarten ökologisch unverzichtbar, vor allem als Laichplatz und als Refugien für Jungfische. Das Einbringen von Totholz hatte in einzelnen Gewässern positive Effekte, der Fischbesatz hingegen verfehlte sein Ziel gänzlich. „Die Wiederherstellung zentraler ökologischer Prozesse und Lebensräume – das ökosystembasierte Lebensraummanagement – kann Fischbestände nachhaltiger schützen und fördern als eng auf einzelne Arten ausgerichtete Maßnahmen wie Fischbesatz“, erklärt Johannes Radinger vom IGB, Hauptautor der Studie.

Vom Labor zu gemeinsamen Ganzseeexperimenten

Noch nie wurden Fischgemeinschaften in so umfangreichen Ganzseeexperimenten unter Beteiligung einer Vielzahl von Angelvereinen und anderen Praxisakteur:innen untersucht. „Nur Experimente unter natürlichen Bedingungen im Gewässer erlauben verlässliche Aussagen über den Erfolg und den Misserfolg einzelner Artenschutzmaßnahmen, da im Gegensatz zu Laboruntersuchungen die Komplexität ökologischer und sozialer Wechselbeziehungen abgebildet werden kann“, erläutert Thomas Klefoth, Professor an der Hochschule Bremen und Mitinitiator des Projekts. „Mehrere Baggerseen gleichzeitig in das Experiment einzubeziehen, war nur durch die enge Zusammenarbeit von Forschung und Praxis möglich. Die Kooperation auf Augenhöhe hat zu einem Umdenken in Bezug auf Fischbesatz beigetragen und die Akzeptanz für nachhaltigere, lebensraumbezogene Managementalternativen gefördert“, resümiert Studienleiter Robert Arlinghaus, Professor für Integratives Fischereimanagement an der HU und am IGB.

Zwei Kernaussagen für den Gewässerschutz und das Fischereimanagement

Zwei zentrale Botschaften, die nicht nur für Baggerseen gelten, lassen sich aus der Studie ableiten: Die Wiederherstellung ökologischer Prozesse wirkt sich nachhaltiger auf Lebensgemeinschaften und Arten aus als der enge Fokus auf die Förderung einzelner Arten. Und: Gewässerschutz funktioniert besonders gut, wenn Gewässernutzungsgruppen wie Angelvereine in Eigenverantwortung aktiv werden und in ihren Bemühungen von Behörden, Verbänden und Wissenschaft unterstützt werden. So lassen sich Naturschutz und Naturnutzung in Einklang bringen. Denn von der Aufwertung der Gewässer profitieren sowohl die Arten als auch die Gewässernutzer:innen.
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