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( Wittlager Kreisblatt - Monika Vollmer vom 02.08.2023 )

Foto: Monika Vollmer
Angeln zählt zu den beliebten Freizeitaktivitäten und liegt im Trend. Doch was macht genau den Reiz aus, und worin besteht die Kunst? Wir haben die Anglerin Anke Ribbe bei einem Fischzug begleitet. Vollkommen naiv und frei von Ortskenntnissen, orientiere ich mich genau nach dem Navi, um an diesem schwülen Sommertag zu dem verabredeten Treffpunkt zu gelangen. Etwa 6,7 Millionen Menschen geben an, wenigstens ab und an zum Angeln zu gehen. Für mich sollte es heute eine Premiere sein.

Anke Ribbe (53), seit vier Jahren Besitzerin eines Angelscheins und Mitglied des Vereins der Niedersächsisch-Westfälische Anglervereinigung (NWA), hatte mir im Vorfeld versprochen, mich in die Freizeitaktivität einzuführen. Insgeheim erhoffe ich mir jetzt eine gemütliche Stelle am Flussufer, einen aufgebauten Klappstuhl und nette Gespräche. Das Ganze verbunden mit geduldigem Warten, bis ein fetter Fisch anbeißen wird. Doch verblüfft bin ich über das, was ich an der verabredeten Stelle vorfinde. Mein erstes Mal sollte an einem mir bis dahin unbekannten, jedoch von Vollblutinsekten besiedelten Teil der Hase starten. Statt auf ein lauschiges Plätzchen blicke ich auf einen schmalen Streifen Urlandschaft mit einer steilen Uferböschung, zugewachsen, überwuchert, sandig und rutschig. Steinbrocken hier, Brennnesseln dort, Brombeerranken dazwischen. Die Hase, wenige Meter zuvor noch von stillem Wasser geprägt, fließt mit fast schon rasanter Strömung. „Vor wenigen Wochen habe ich an diesem Spot eine Forelle gefangen“, verkündet Ribbe stolz und deutet auf eine besonders unruhige Wasserstelle. Auch heute ist sie sich ziemlich sicher, dass sich Raubfische in der Strömung aufhalten werden.

Die passionierte Anglerin legt ihre Rute samt Schnur und Rolle sowie den Kescher kurz im Gebüsch ab, greift in ihre cargofarbene Anglerweste und bringt nacheinander das zum Vorschein, was man immer dabeihaben sollte: Angelschein, Maßband, ein scharfes Messer sowie einen Fischtöter. Sie scheint meinen etwas skeptischen Blick zu bemerken, sagt: „Wenn man nicht töten kann, darf man nicht angeln.“ Erklärend fügt sie hinzu, sie angele nur Fische, die sie selbst verzehren möchte und auch sie habe den Jagdsport und das waidgerechte Töten erst lernen müssen. Aus einer anderen Jackentasche zieht sie ein kleines Döschen, greift darin nach einem der künstliche Köder, die einen Fisch darstellen sollen. Kaum hat sie den Widerhaken zurückgebogen und den Köder an ihrer Angel befestigt, watet sie auch schon mit vorsichtigen Schritten in die Hase, die sich mal knöchel-, mal hüfttief präsentiert.

Derweil lasse ich den Blick durch die Landschaft schweifen. Ribbes Forellenspot scheint nicht sehr bekannt zu sein. Jedenfalls ist kein weiterer Angler in Sicht und auch sonst kein Mensch. Stattdessen Vögel jeglicher Gesangsrichtung, zig Libellen und ein Eisvogel, der pfeilschnell vorbeifliegt, und zahlreiche Schmetterlinge mit hellblauen Flügeloberseiten. Ribbe steht mittlerweile flussabwärts, wirft immer wieder in weitem Bogen ihre Angel aus – nur um die Schnur samt Haken Sekundenbruchteile später wieder zurück zu kurbeln. Das Resultat in den ersten 30 Minuten: nichts. Allenfalls irgendwelche Grashalme bleiben am Haken hängen. Eine Entenfamilie schwimmt, neugierig geworden, in einiger Entfernung vorbei.

Die 53-Jährige wechselt den Köder mehrmals. Und dann scheint plötzlich doch etwas zu passieren, die Angelrute ist gespannt, ein Widerstand erkennbar. Jetzt hat ein Fisch angebissen, schießt es mir durch den Kopf. Doch Ribbe lacht, klärt auf: Der Haken hat sich lediglich zwischen den Steinen verkeilt – und muss erst einmal mühevoll befreit werden. Knapp drei Stunden, zahlreiche Insektenstiche und gefühlt hundert Angelwürfen später: die Kapitulation. Dicke Wolken ziehen in der Ferne auf, ein Gewitter scheint im Anmarsch. Ausgerechnet auf den letzten Metern, beim Rückzug aus dem Wasser, rutscht Ribbe auf den glitschigen Steinen aus, setzt sich auf den Hosenboden und ist nass bis auf die Knochen. Wieder lacht sie, erhebt sich und blickt glücklich und zufrieden drein. Als sie aus dem Wasser steigt, erklärt sie begeistert, Angeln sei für sie Entspannung in der Natur, Ablenkung vom Berufsalltag und der Hausarbeit. Und genau das scheint für viele Menschen den Reiz auszumachen. Denn ist man ehrlich, dann passiert die meiste Zeit tatsächlich nichts. Es geht weder um Selbstüberwindung, Fitness, die richtige Wurftechnik, Genialität. Auch nicht um den Adrenalinkick. Angeln wird häufig als die Sehnsucht nach Klarheit beschrieben. Tatsächlich kann man viel über sich selbst lernen. Die Kunst besteht im Alleinsein, im Warten. Und derweil lässt es sich in Muße, Entspannung und Kontemplation üben.
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